(Autor: Gökay Gürsoy, erschienen in Wirtschaftswoche online am 16.09.2025)
Es ist einer der undankbarsten Jobs der Republik - und vermutlich läuft die Suche nach dem neuen Bahn-Chef auch deshalb so zäh. Wie lassen sich Talente für einen heiklen Posten gewinnen?
Massive Verschuldung, politischer Einfluss, schlechtes Image und dauernder Druck durch unzufriedene Kunden: Das ist kein Job für schwache Nerven.
Kein Wunder also, dass die Suche nach einem Nachfolger für den Chef der Deutschen Bahn (DB), Richard Lutz, schleppend verläuft. Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) hatte ihn Mitte August nach mehr als acht Jahren im Amt entlassen.
Schnieder will am 22. September seine Strategie für die Bahn vorstellen. Bis dahin will er eine Nachfolge gefunden haben. Bei der Bahn stellt sich somit eine Frage, vor der Unternehmen immer wieder stehen: Wie überzeugen wir jemanden, diesen Posten zu übernehmen?
Welche Rolle spielt das Gehalt?
Der Bahnchef oder die Bahnchefin steht unter Beobachtung. Und unter diversen Zwängen: Politiker, Gewerkschaften, Öffentlichkeit - alle mischen sich ein. "Es fehlt der Gestaltungsspielraum", sagt Wirtschaftspsychologe Florian Becker von der Technischen Hochschule Rosenheim, "Dinge lassen sich nicht schnell ändern wie in anderen Branchen."
Becker ist sich daher sicher, dass bei der Suche nach einer neuen Führung das Gehalt eine Schlüsselrolle spielen werde: "Am Ende wird es auf Schmerzensgeld hinauslaufen." Wenn sich jemand Gutes für den Job finde, dann nur, weil er oder sie dafür sehr gut bezahlt werde.
Unternehmen verfügen aber gerade in Krisenzeiten meist nicht über finanzielle Spielräume. Auch bei der hoch verschuldeten Deutschen Bahn, deren Kunden häufig mit ihren Leistungen unzufrieden sind, wäre eine Gehaltserhöhung für den Chef umstritten.
Das dürfte Verkehrsminister Schnieder im Hinterkopf gehabt haben, als er kürzlich einräumte, das, was in Dax-Konzernen gezahlt werde, sei bei der Bahn nicht drin. Und klarstellte: "Aber ich habe nicht den Eindruck, dass man als Vorstandsvorsitzender bei der Deutschen Bahn verarmt."
Lutz verdiente im vergangenen Jahr als Vorstandsvorsitzender 2,1 Millionen Euro, wobei etwa 700.000 Euro auf Boni entfielen. Das ist deutlich weniger als der Schnitt der Dax-Chefs, der bei rund 6,3 Millionen Euro liegt. Spitzenreiter war Christian Klein, Chef des Softwarekonzerns SAP, mit etwa 19 Millionen Euro.
Im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung monierte Personalberater Heiner Thorborg, dass der Bahnchef "viel zu wenig Geld für eine so große Aufgabe" erhalte. "Mit ihren kleinlichen Gehältern bekommt die Bahn wohl kaum eine Führung, die der Aufgabe gewachsen ist."
Taugt der Job als Sprungbrett?
Selbst, wenn ein Unternehmen bereit ist, ein hohes Gehalt zu zahlen: Es muss zunächst den passenden Kandidaten finden. Genau das ist die Aufgabe des Headhunter-Duos Anke Franz und Ralf Neier, die Co-Geschäftsführer der Personalberatung Hapeko Executive Partner sind.
Dass ein Unternehmen in Schwierigkeiten ist, bedeute nicht unbedingt, dass sich kein geeigneter Nachfolger finden lasse. Für viele klinge eine Krise zwar negativ. "Andere sehen darin einen Anreiz, ihre Managementqualitäten in einer komplexen und herausfordernden Situation unter Beweis zu stellen", betont Neier.
Dieter Frey leitet an der Ludwig-Maximilians-Universität in München das Center for Leadership and People Management. Auch er findet, dass der Chefposten eines kriselnden Unternehmens, wie der Deutschen Bahn, durchaus seinen Reiz hat: "Das ist eine hochattraktive Position, bei der jemand seine unternehmerischen Qualitäten" zeigen kann.
Warum das gerade für die Deutsche Bahn gilt? "Es gibt eine Vielzahl von Stakeholdern, die ihre Interessen in der Besetzung und Ausübung der neuen Rolle vertreten sehen wollen", erläutert Hapeko-Expertin Franz. Manager können hier zeigen, dass sie gut zwischen Interessen vermitteln und Konsens herstellen können. Da der Chefposten bei der Bahn eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit genießt, eignet er sich auch, um Bekanntheit zu gewinnen. Und sich für noch Höheres zu empfehlen.
Laut Headhunterin Franz gelte es im Gespräch mit einem Kandidaten zu verstehen, was ihm wichtig sei: "Ist es Prestige? Möchte jemand seine Handschrift hinterlassen?" Im Anschluss daran können Unternehmen entscheiden, ob der- oder diejenige in der aktuellen Situation für die Unternehmensführung infrage kommt. Sind jemandem beispielsweise kurzfristige und sichtbare Erfolge wichtig, dürfte der Chefposten bei der Deutschen Bahn die falsche Stelle sein.
Eine Herausforderung als Anreiz? Oder eher der Purpose?
"Es gibt Spezialisten im Markt, die Freude daran haben, ein Unternehmen zu sanieren", betont Headhunter Neier. Solche Manager mache vor allem aus, dass sie in der Komplexität einen Reiz sehen und gerne Entscheidungs- und Gestaltungsmacht ausüben. "Wer nicht über diesen Charakterzug verfügt, wird es auf dieser Position eher schwer haben."
So jemand scheue auch nicht, Fehler zu machen: "Es müssen Menschen sein, die chancenorientiert und risikobereit sind und für diese Aufgabe auch das (öffentliche) Scheitern in Kauf nehmen", sagt Expertin Franz.
Unternehmen können um Kandidaten auch mit den Werten werben, für die sie stehen. Die Bahn etwa mit Klimaschutz und die Mobilitätswende, dessen Antreiber der neue Chef wäre.
Experte Frey geht sogar noch weiter: "Es ist eine absolut notwendige Bedingung, dass sich der neue Chef mit Werten und Visionen der Bahn, wie der Nachhaltigkeit, identifizieren kann." Ansonsten sei es eine Fehlbesetzung.
Findet sich vielleicht intern jemand?
Wenn ein Chef geht, rückt nicht selten ein Vorstandsmitglied an die Unternehmensspitze. So war DB-Chef Richard Lutz zuvor Finanzchef des Unternehmens. Und auch heute kursieren die Namen mehrerer Vorstände für seine Nachfolge, darunter die Vorständin für den Regionalverkehr Evelyn Palla und Sigrid Nikutta, verantwortlich für den Güterverkehr.
Das Unternehmen bereits zu kennen und gut vernetzt zu sein, hat seine Vorteile. Doch es birgt das Risiko, dass ein ehemaliger Vorstand, der Mitverantwortung an der Misere trägt, das Ruder nicht herumreißen kann.
Unternehmen sollten daher abwägen, welche Rolle betroffene Vorstände bei der Leistung des gesamten
Unternehmens gespielt haben. So konnte Evelyn Palla zuletzt Erfolge verbuchen: Unter ihrer Führung hat der Regionalverkehr der Deutschen Bahn nach einem Vorjahresverlust von 22 Millionen Euro 2024 einen Gewinn von 108 Millionen Euro eingefahren.
Und wie lassen sich Externe anlocken?
"Ein externer Kandidat kann frischen Wind ins Unternehmen bringen, während das Vertrauen in den alten Vorstand meist gesunken ist", betont Experte Frey. Mit dieser Begründung hat auch die Bahngewerkschaft für jemanden von außen geworben.
Laut Headhunterin Franz wäre es für einen externen Kandidaten von Vorteil, "wenn er die Branche bereits kennt" oder anderswo eine ähnliche Transformation gesteuert hat. Auch deshalb hatte der Fahrgastverband Anna-Theresa Korbutt, die derzeitige Geschäftsführerin des Hamburger Geschäftsverbunds, ins Spiel gebracht.
In dieses Muster passt auch, dass Verkehrsminister Schnieder Peter Füglistaler (früherer Chef des Schweizer
Bundesamts für Verkehr) und Andreas Matthä (Chef der Österreichischen Bundesbahnen) angefragt haben soll.
Um externe Kandidaten zu überzeugen, gibt es neben dem Gehalt weitere Möglichkeiten. "Anfangs ist man in dem Unternehmen völlig fremd - und als Einzelplayer hat man selten eine Chance", betont Experte Frey. Unternehmen können Kandidaten anbieten, Vertraute ins Unternehmen zu holen. Dass ein Chef sich mit einem Team umgibt, das er schon lange kennt und dem er vertrauen kann, ist laut Frey essenziell.
Das sei bei der Besetzung von Spitzenpositionen im Übrigen gängige Praxis, sagt Headhunterin Franz. Und doch sei da Vorsicht geboten. Würden zu viele Stellen neu besetzt, könne das "ein laufendes System und funktionierende Netzwerke schwächen." Unternehmen sollten daher darauf achten, bei der Neubesetzung des Vorstands die richtige Balance zu finden.
Autor: Gökay Gürsoy
Quelle: WirtschaftsWoche online (wiwo.de); erstmals erschienen am 16.09.2025 im Ressort "Service"; Rubrik "Management & Führung".
Link zum Onlineartikel: "Gesucht: Neue Führung für unbequeme Position"
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